Die Russland-Sanktionen
Die EU hat in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Zwangsmaßnahmen verlängert und sie zum Teil ausgeweitet. Das betrifft etwa das EU-Sanktionsregime gegen Russland. Verlängert wurden zuletzt, am 29. Juni, einige Wirtschaftssanktionen. Sie verbieten den Export von Waffen, von sogenannten Dual Use-Gütern, die militärisch genutzt werden können, insbesondere aber von Technologien und Dienstleistungen für die Erkundung und die Förderung von Erdöl. Auch bleibt der Zugang zum EU-Kapitalmarkt für einige russische Banken und andere Konzerne beschränkt. Bereits am 18. Juni wurden EU-Sanktionen verlängert, die sich gegen die Krim richten. So besteht das Importverbot für Waren von der Krim ebenso fort wie das Exportverbot für bestimmte Güter und Technologien; zudem bleiben die Restriktionen bei Investitionen und das Verbot, touristische Dienstleistungen zu unterstützen, in Kraft.[1] Dasselbe gilt für das Einfrieren des Vermögens und Einreisesperren gegen insgesamt 175 Personen sowie 44 Institutionen und Unternehmen, denen vorgeworfen wird, „die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu unterminieren“. Davon sind freilich in vielen Fällen auch Personen, Institutionen oder Firmen aus der Ostukraine betroffen.
„Politik der verbrannten Erde“
Sanktionen ausgeweitet – am 17. Februar – und verlängert – am 28. Mai – hat die EU auch gegen Syrien. Zur Zeit sind in der EU angelegte Guthaben von 273 Personen sowie 70 Institutionen und Unternehmen aus Syrien eingefroren; die Betroffenen sind mit Einreisesperren belegt. Dies richte sich, erklärt die EU, insbesondere „gegen Firmen und Geschäftsleute, die aus ihren Verbindungen zum Regime und aus der Kriegswirtschaft Nutzen ziehen“.[2] Die Maßnahmen gegen Syrien beinhalten darüber hinaus, wie die EU notiert, „das Verbot der Einfuhr von Erdöl, Restriktionen gegen bestimmte Investitionen, das Einfrieren des Vermögens der syrischen Zentralbank in der EU und Exportbeschränkungen für Ausrüstung und Technologie, die für die innere Repression genutzt werden kann“. Die EU-Sanktionen gegen Syrien begleiten – ganz wie diejenigen gegen Russland – US-Sanktionen, die noch deutlich weiter reichen und zur Zeit dramatisch verschärft werden (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Werden die Sanktionen mit dem angeblichen Ziel legitimiert, brutale Repression gegen Syriens Bürger bekämpfen zu wollen, so verschlimmern sie tatsächlich die Lage der Bevölkerung dramatisch; unter anderem haben sie ihre Versorgung mit Medikamenten aufs Schwerste beeinträchtigt. Beim European Council on Foreign Relations etwa hieß es bereits im Februar 2019, die westliche Sanktionspolitik sei „eine Politik der verbrannten Erde, die unterschiedslos und willkürlich gewöhnliche Syrer bestraft und legitime Geschäfte bedroht“.[4]
Gegen den Protest der UNO
Ausgeweitet worden sind zuletzt die EU-Sanktionen gegen Venezuela. Am 29. Juni fügte der Rat der EU seiner landesspezifischen Sanktionsliste elf Venezolaner hinzu, die nun gleichfalls nicht mehr in die Union einreisen dürfen; zudem wird auch ihr Vermögen in der EU eingefroren. Zu den mit Zwangsmaßnahmen belegten Personen zählen vor allem hochrangige Politiker, Juristen und Militärs. Auch im Falle Venezuelas begleiten die EU-Maßnahmen US-Restriktionen, die noch deutlich weiter reichen; zudem sind die Folgen für die Bevölkerung ebenfalls katastrophal. Schon im April 2019 kam eine wissenschaftliche Untersuchung zu dem Schluss, die seit 2017 verhängten Sanktionen – 2017 traten auch die ersten EU-Sanktionen in Kraft – hätten über 40.000 Menschen das Leben gekostet.[5] Der ehemalige US-Spitzendiplomat Thomas Shannon urteilte über die Sanktionspolitik: „Wir sehen die Zerstörung Venezuelas als Land und als Gesellschaft.“ Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie forderte UN-Generalsekretär António Guterres, alle ökonomischen Zwangsmaßnahmen gegen Drittstaaten auszusetzen, um „Zugang zu Nahrung, zur notwendigen Gesundheitsversorgung und zu medizinischer Covid-19-Hilfe sicherzustellen“: „Jetzt ist es Zeit für Solidarität, nicht für Ausschluss“.[6] Die EU hat ihre Sanktionen, wie erwähnt, ausgeweitet.
Der European Magnitsky Act
Zusätzlich zur bisherigen EU-Sanktionspraxis dringt die Bundesrepublik auf die Einführung eines weiteren Sanktionsmechanismus. Er soll sich weltweit gegen Personen richten, denen vorgeworfen wird, Menschenrechte verletzt zu haben. Vorbild sind zwei US-Gesetze, der Magnitsky Act von 2012 sowie der Global Magnitsky Act von 2016, die bei Menschenrechtsverletzungen jeweils das Einfrieren von Vermögenswerten plus Einreisesperren für die tatsächlichen oder angeblichen Täter vorsehen. Benannt sind die Gesetze nach dem russischen Wirtschaftsprüfer Sergej Magnitsky, der 2009 in russischer Haft ums Leben kam. Die Einführung eines European Magnitsky Act ist am 14. März vergangenen Jahres in einer Resolution des Europaparlaments gefordert worden; am 9. Dezember sprachen sich die EU-Außenminister dafür aus, die Arbeiten an dem Gesetz konkret auf den Weg zu bringen und damit den Europäischen Auswärtigen Dienst zu beauftragen.[7] Die Bundesregierung macht sich ebenfalls für das Vorhaben stark. Bereits im November 2019 hatte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Andreas Michaelis angekündigt, Berlin wolle „die Umsetzung eines EU-weiten Menschenrechtssanktionsmechanismus“ während seiner „EU-Ratspräsidentschaft 2020 weiter voranbringen“.[8] Im Programm für die deutsche Ratspräsidentschaft heißt es nun in der Tat, man setze sich „dafür ein, die Kapazitäten der EU zur Verhängung und Umsetzung von Sanktionen zu erweitern“.
Folgenloses Foltern
Dass der geplante European Magnitsky Act entgegen allen Behauptungen vorrangig nicht zur Durchsetzung der Menschenrechte, sondern zum Kampf gegen weltpolitische Rivalen dienen wird, zeigt die Debatte darüber, wer mit Sanktionen belegt werden soll. Genannt werden üblicherweise Personen etwa aus Russland, China, Belarus oder Venezuela – durchweg Staaten, mit denen die EU im Konflikt steht. Nicht genannt werden die USA, obwohl etwa die gegenwärtige CIA-Direktorin Gina Haspel im Jahr 2002 eine Einrichtung in Thailand leitete, in der im Rahmen des damaligen „Anti-Terror-Kriegs“ gefoltert wurde. Sanktionen gegen Haspel sind ebensowenig geplant wie Zwangsmaßnahmen gegen US-Verantwortliche für den völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak im Jahr 2003 oder gegen französische und britische Verantwortliche für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Libyen im Jahr 2011. Weder polnische noch rumänische Funktionsträger müssen fürchten, für den Unterhalt von CIA-Folterlagern in den Jahren nach dem 11. September 2001 auf dem Territorium ihrer Länder mit „Magnitsky“-Sanktionen belegt zu werden. Dasselbe gilt für deutsche Stellen, die bei der Verschleppung und der Folter von Terrorverdächtigen im „Anti-Terror-Krieg“ mit US-Stellen kollaborierten oder diese Kollaboration organisierten, darunter der heutige Bundespräsident [9]: Ihnen gelten die geplanten Sanktionen nicht.
Mehr zum Thema Sanktionen: Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs.
[1] EU restrictive measures in response to the crisis in Ukraine. consilium.europa.eu.
[2] Syria: Sanctions against the regime extended by one year. consilium.europa.eu 28.05.2020.
[3] S. dazu Hoffen auf die Hungerrevolte.
[4] Nour Samaha: The economic war on Syria: Why Europe risks losing. ecfr.eu 11.02.2019. S. auch Der Krieg nach dem Krieg.
[5] Mark Weisbrot, Jeffrey Sachs: Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela. Center for Economic and Policy Research. Washington, April 2019. S. auch Die Ära der Sanktionskriege (IV).
[6] Funding the fight against COVID-19 in the world’s poorest countries. un.org 25.03.2020. S. auch Die Pandemie als Druckmittel.
[7] Alexandra Brzozowski: EU ministers break ground on European ‚Magnitsky Act’. euractiv.com 10.12.2019. S. auch Die Weltenrichter.
[8] Deutscher Bundestag: Drucksache 19/15365. Berlin, 22.11.2019.
[9] S. dazu Präsidiable Politik.