CAATSA
Die neuen US-Sanktionen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 beruhen auf dem Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA), der im Juli 2017 im US-Kongress verabschiedet und am 2. August 2017 von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet worden ist. Das Gesetz sieht eine Verschärfung der Zwangsmaßnahmen gegen Iran, Nordkorea und Russland vor. Mit Sanktionen belegt werden können Unternehmen ebenso wie Einzelpersonen.[1] Zu den Fällen, die in Deutschland größere Wellen schlugen, zählten beispielsweise Sanktionen gegen Rusal, den zweitgrößten Aluminiumkonzern der Welt, mit denen Washington einen Wechsel des Eigentümers erzwang.[2] Außerhalb Europas sorgt immer wieder für Konflikt, dass der CAATSA auch auf russische Waffenlieferungen zielt. So wird grundsätzlich jeder Staat mit Sanktionen bedroht, der etwa das russische Raketenabwehrsystem S‑400 kauft. Betroffen war etwa Indien, als es das Raketenabwehrsystem erwarb; allerdings hat das Land, weil Washington es als potenziellen Verbündeten im Machtkampf gegen China umwirbt, dafür eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Aktuell tobt erneut ein Streit zwischen den USA und Indien, weil New Delhi den Kauf russischer Militärflugzeuge beschlossen hat.[3] Gezielt von CAATSA attackiert werden die beiden Sektoren, auf denen Moskau bis heute eine starke Weltmarktstellung hält: Rüstung und Energierohstoffe.
Mit sofortiger Wirkung in Kraft
Tatsächlich umfasst der CAATSA auch Bestimmungen, die sich gegen russische Exportpipelines richten. Als das Gesetz im Jahr 2017 in Kraft trat, hatte der damalige Außenminister Rex Tillerson diese Bestimmungen zunächst suspendiert; sie sollten jedenfalls nicht für Öl- und Gasleitungen gelten, deren Bau – wie derjenige von Nord Stream 2 – bereits vertraglich vereinbart war. Die Trump-Administration hat Nord Stream 2 zwar mit einem zusätzlichen Sanktionsgesetz attackiert (Protecting Europe’s Energy Security Act, PEESA), das am 20. Dezember 2019 in Kraft trat und unter anderem zum Abzug eines Schweizer Spezialschiffs führte.[4] Zudem plant sie ein weiteres Gesetz (Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act, PEESCA), das im September in Kraft treten könnte und praktisch alle mit Nord Stream 2 befassten Personen und Unternehmen trifft; es könnte auch auf Angestellte deutscher Behörden und Regierungsbeamte angewandt werden.[5] Unabhängig davon hat US-Außenminister Mike Pompeo aber am Mittwoch mitgeteilt, Washington habe Tillersons Suspendierung der Sanktionen gegen Nord Stream 2 nun aufgehoben, und zwar mit sofortiger Wirkung. Die Maßnahmen umfassen Visasperren, das Einfrieren von Vermögenswerten und den Ausschluss von US-Finanzdienstleistungen.[6] Vor allem die letzteren beiden Bestimmungen wiegen für betroffene Unternehmen schwer.
„Ein Erpressungsversuch“
Geharnischte Reaktionen auf Pompeos Ankündigung kommen aus der deutschen Industrie. Wie es beim Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft heißt, sind von der Inkraftsetzung der Sanktionen „rund 120 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern unmittelbar“ betroffen.[7] Zudem seien „bereits umgesetzte Investitionen in Höhe von zwölf Milliarden Euro … gefährdet“. Allein die fünf westeuropäischen Energiekonzerne, die an Nord Stream 2 beteiligt sind – Uniper (Ex-EON), die mehrheitlich im Besitz von BASF befindliche Wintershall Dea, OMV (Österreich), Engie (Frankreich) und Royal Dutch Shell (Großbritannien/Niederlande) -, haben jeweils 950 Millionen Euro in die Erdgasleitung investiert. Auch ihnen drohen nun folgenreiche Sanktionen. Washingtons Schritt „markiert einen unfassbaren Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen“, erklärt der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes: Er stelle einen „beispiellose[n] … Eingriff in die europäische Energiesouveränität“ dar. „Die EU und Deutschland dürfen sich … nicht wie ein amerikanisches Protektorat vorführen lassen“ [8], wird Hermes zitiert: Es bleibe „nichts anderes übrig, als in gebotener Schärfe auf diesen Erpressungsversuch zu reagieren“. So müsse die EU-Kommission „alle Angriffe von außen auf ihre Souveränität abwehren und dazu schnell einen harten Maßnahmenkatalog vorstellen“. Zudem werde „ein wirksamer Schutzschirm für zu Unrecht von US-Sanktionen betroffene europäische Unternehmen benötigt, der sie vor finanziellen Schäden bewahrt“.[9]
„Völkerrechtswidrig“
Auf ebenfalls ungewohnt scharfe Art und Weise hat zudem die Bundesregierung reagiert. Mit ihrer Sanktionsankündigung „missachtet die US-Regierung das Recht und die Souveränität Europas, selbst zu entscheiden, wo und wie wir unsere Energie beziehen“, äußert Außenminister Heiko Maas: „Die europäische Energiepolitik wird in Europa gemacht und nicht in Washington. Extraterritoriale Sanktionen lehnen wir klar ab.“[10] Das Bundeswirtschaftsministerium sprach sich gleichfalls gegen extraterritoriale Sanktionen aus, „denn wir erachten sie als völkerrechtswidrig“: „Das ist die klare Haltung der Bundesregierung“.[11] Bereits Ende Juni hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die damals angekündigten PEESCA-Sanktionen gegen Unternehmen aus der EU „inakzeptabel und völkerrechtswidrig“ genannt: „Die Union widersetzt sich ihnen entschieden.“[12] Borrell hatte damals mitgeteilt, die Kommission bereite einen „erweiterten Sanktionsmechanismus“ vor, der die „Resilienz“ der EU „gegenüber den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen, die durch Drittstaaten verhängt werden, verbessern“ werde. Details sind noch nicht bekannt.
Deutsche Sonderinteressen
Dabei lehnen Berlin und Brüssel Zwangsmaßnahmen gegen Moskau im Grundsatz keineswegs ab; vielmehr haben sie erst kürzlich gemeinsame EU-Sanktionen gegen Russland verlängert – mit dem Ziel, die russische Regierung zum Nachgeben im außenpolitischen Machtkampf vor allem um die Ukraine zu zwingen (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Die Bundesregierung besteht allerdings darauf, ungeachtet der Sanktionspolitik möglichst ungehinderten Zugriff auf russisches Erdgas zu erhalten, und verwahrt sich daher gegen die aktuellen US-Attacken auf Nord Stream 2. Außenminister Maas betonte gestern, zwar lehne Berlin die CAATSA-Sanktionen ab, plädiere aber für „eine gemeinsame transatlantische Haltung zu Sanktionen gegen Russland“ [14] – faktisch also für eine stärkere Berücksichtigung deutscher Sonderinteressen in einem erneuerten deutsch-US-amerikanischen Pakt.
[1] S. dazu Die Ära der Sanktionskriege (I).
[2] S. dazu Vor dem Welthandelskrieg.
[3] Sriram Lakshman: U.S. position on CAATSA unchanged despite China’s actions in neighbourhood. thehindu.com 07.07.2020.
[4] S. dazu Ringen um Russlands Erdgas.
[5] S. dazu Transatlantische Konflikte (II).
[6] Brett Forrest: Secretary of State Pompeo Lifts Sanctions Exemption From Nord Stream 2 Pipeline. wsj.com 15.07.2020.
[7] „Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen“. oaoev.de 16.07.2020.
[8] Mathias Brüggmann: „Erpressungsversuch“: Deutsche Wirtschaft kritisiert US-Drohungen gegen Nord Stream 2. handelsblatt.com 16.07.2020.
[9] „Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen“. oaoev.de 16.07.2020.
[10] Außenminister Maas sagte anlässlich US-Ankündigung, CAATSA-Durchführungsbestimmungen verschärfen zu wollen: auswaertiges-amt.de 16.07.2020.
[11] Bund weist US-Drohung als völkerrechtswidrig zurück. manager-magazin.de 16.07.2020.
[12] Kate Abnett, Vera Eckert: EU prepares response to Nord Stream U.S. sanctions threat. uk.reuters.com 29.06.2020.
[13] S. dazu Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs (II).
[14] Außenminister Maas sagte anlässlich US-Ankündigung, CAATSA-Durchführungsbestimmungen verschärfen zu wollen: auswaertiges-amt.de 16.07.2020.