“Weitgehend unbeachtet hat Jens Spahn seine umstrittene Digitalisierung des Gesundheitssystems weiter vorangetrieben (…) Mitten in der Corona-Krise und weitgehend unbeachtet hat Spahn nun das sogenannte Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) durchs Kabinett gebracht. Die Digitalakte soll schon 2021 starten und Ärzte und Krankenhäuser verpflichten, sie zu befüllen. 2022 sollen auch Impf- und Mutterpass und das Zahnbonusheft gespeichert werden. Vorerst ist die Nutzung der Akten für Patienten noch freiwillig. Doch den Ärzten winken von der Krankenkasse finanzierte Ausgleichszahlungen für das Anlegen der Akte und die Beratung, für manchen vielleicht ein willkommenes Zubrot. Außerdem funktioniert die e‑Akte vorerst nach dem Prinzip „Alles oder nichts“, das heißt Patienten können nicht auswählen, welcher Arzt welche Informationen erhält, ein datenschutzrechtliches Unding. Von 2023 an haben Patienten dann auch die Möglichkeit zur „Datenspende“ und können ihre Gesundheitsdaten der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen…” Artikel von Ulrike Baureithel vom 14.04.2020 beim Freitag online
und dazu:
- Oberster Datenschützer und 73 Mio. Bürger ausgetrickst /ePA-Datengesetz – Sie haben den Affen übersehen
- Oberster Datenschützer und 73 Mio. Bürger ausgetrickst […] Jetzt äußert sich der Bundesdatenschutzbeauftragte zu dem ungeheuerlichen Vorgang
“… Mit dem am 03. Juli beschlossenen EPA-Datengesetz ist die kurz gewährte Freiwilligkeit auch schon wieder Geschichte. Das ist keine Kleinigkeit. Es geht hier um nichts weniger als um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Gegenüber Telepolis äußert sich der Bundesdatenschutzbeauftragte besorgt: “Aus datenschutzrechtlicher Sicht sehe ich den Wegfall des Einwilligungserfordernisses kritisch. Bereits die pseudonymisierte Auswertung der Versichertendaten, die zumindest teilweise einer besonderen Kategorie i. S. des Artikel 9 Abs. 1 DSGVO – den Gesundheitsdaten – zuzuordnen sind, stellt einen empfindlichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherten dar. Es besteht die Gefahr, dass eine derartige ‘Datenrasterung’ einen weiteren Baustein zur zukünftigen Komplettierung des ‘gläsernen Versicherten’ liefert. Dies liegt nicht im Interesse der Versicherten.” (Ulrich Kelber, BfDI) (…) Man glaubt es kaum: Aber der Wortlaut des Änderungsantrags, den die Bundesregierung der obersten Bundesbehörde für Datenschutz in Form einer sog. Formulierungshilfe zur Stellungnahme vorgelegt hatte, stimmte nicht überein mit dem Wortlaut des im Gesundheitsausschuss tatsächlich zur Abstimmung vorgelegten Änderungsantrags (…) Aber auch das ist noch nicht alles. Eine weitere TP-Recherche hat nun Folgendes zutage gefördert: Die Streichung des Einwilligungserfordernisses geht zurück auf eine bereits im letzten Jahr an die Bundesregierung gerichtete und nun anlässlich des EPA-Gesetzes erneut erhobene Forderung seitens der Krankenkassen. Mehr noch: Die Ulrich Kelber von der Bundesregierung vorgelegte Fassung entspricht 1:1 dem Änderungsvorschlag der Kassen, nur die Datenauswertung für die ohnehin freiwillige Teilnahme an individuellen Versorgungsmaßnahmen soll zustimmungspflichtig sein. Die Datennutzung zur vorbereitenden Erstellung dieser individuellen Angebote aber soll auch gegen den Willen des Versicherten möglich sein. (…) Um die Öffentlichkeit aufzuklären, kündigt Kelber in jedem Fall schon mal eine Information seiner Behörde an, “wie wir mit allen relevanten Aspekten des PDSG [Patientendatenschutzgesetz, Anmerkung von uns] umgehen werden”. Die Bundesregierung muss sich jetzt zu diesem ungeheuerlichen Vorgang äußern. Denn dass ein solcher Umgang mit Grundrechten der Bürger zur “neuen Normalität” wird – daran kann niemandem gelegen sein.” TP-Exklusiv von Brigitta Engel und Florian Rötzer vom 5. August 2020 bei Telepolis - ePA-Datengesetz – Sie haben den Affen übersehen
“… Neues Gesetz legalisiert datenbasierte Gesundheitsprofilbildung auch gegen den Willen des Versicherten. Mit einem Verfahrenskniff gelingt Spahn unbemerkt ein weiterer Datenschutzabbau. Was sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte dazu? “Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf.” (…) Zu diesem Ergebnis kommt auch das (…) Gorilla-Experiment. Gut die Hälfte der Versuchspersonen, die sich während eines Basketballspiels darauf konzentrierten, nur die Pässe jenes Teams zu zählen, das weiße Shirts trug, übersah eine Person, die irgendwann im Gorillakostüm seelenruhig mitten durchs Spielfeld lief. Auf der Ebene von Gesetzgebungsverfahren wird der Affe bevorzugt kurz vor Schluss in den Entwurf gestellt: Auf der Grundlage von Änderungsanträgen der Regierungskoalition wird im federführenden Ausschuss zeitgleich mit einigen “Anpassungen” auch eine Regelung in den Entwurf mit aufgenommen, die bislang gar nicht Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung war und auf die sich deshalb so kurz vor der entscheidenden Bundestagssitzung wahrscheinlich auch keine mediale Aufmerksamkeit mehr richten wird. Im vorliegenden Fall ist es der § 68b Abs. 3 SGB V (neu). Er war schon im vergangenen November mit dem unter dem Schlagwort “App auf Rezept” bekannten Digitale-Versorgung-Gesetz beschlossen worden (Wie man Datenschutzabbau als Versorgungsinnovation framet). Mit diesem Gesetz, das auch die Weitergabe von Gesundheitsdaten an die Forschung erzwang, hatten Krankenkassen das Recht erhalten, durch Kooperation mit Unternehmen und durch den Erwerb von Anteilen an Investmentfonds die Entwicklung sog. digitaler Innovationen (z.B. digitaler Medizinprodukte) zu fördern und dazu die – noch nicht einmal anonymisierten – Daten der Versicherten für eine marktorientierte Bedarfsanalyse auszuwerten. Mit §68b SGB V erhielten die Kassen schließlich die Befugnis, die bei ihnen gespeicherten Daten der Versicherten auch noch für ein individualisiertes “Angebot” auszuwerten, allerdings nur sofern der Versicherte ausdrücklich einer solchen Datenauswertung zustimmt. Und jetzt die Überraschung: Das Einwilligungserfordernis ist weg. Still und leise gestrichen…” TP-Recherche von Brigitta Engel und Florian Rötzer vom 3. August 2020 bei Telepolis(Mit Vollgas gegen den Datenschutz – Teil 5)
- Oberster Datenschützer und 73 Mio. Bürger ausgetrickst […] Jetzt äußert sich der Bundesdatenschutzbeauftragte zu dem ungeheuerlichen Vorgang
- Gesetz “zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur”
- siehe zum Hintergrund unser Dossier: [Das Digitale Versorgungsgesetz (DVG)] „Statt“ Gesundheitskarte: Smartphone-Kontrolle?
Der Beitrag Im Windschatten der Corona-Krise: Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) und EPA-Datengesetz erschien zuerst auf LabourNet Germany.