Dossier
“Eine US-Firma hat drei Milliarden Fotos im Internet gesammelt und als Datenbank mit Gesichtserkennung verkauft. Zu den Kunden soll das FBI gehören. Droht das auch Deutschland? Auf ihrer Webseite präsentiert sich Clearview
als Helferin gegen das Böse. Mit dem Recherchetool hätten Strafverfolger Pädophile, Terroristen und Menschenhändler ausfindig machen können. Doch die schlichte Webseite von Clearview verrät nichts über die Methoden, mit denen die US-Firma arbeitet. Das bislang unbekannte Unternehmen hat einen immensen Datenberg aus dem Netz gesaugt. Drei Milliarden Fotos von Menschen soll die Firma laut New York Times
horten und sie mittels Gesichtserkennungssoftware durchsuchen können. Kunden von Clearview laden ganz einfach das Foto einer Person hoch und bekommen dann weitere öffentliche Fotos der Person angezeigt – inklusive Links, die zu der Quelle führen. Die Zeitung spricht vom “Ende der Privatsphäre, wie wir sie kennen”. Die Fotos aus der Clearview-Datenbank stammen demnach aus sozialen Medien wie Facebook und YouTube sowie Millionen weiterer Webseiten, die öffentlich zugänglich sind oder waren. Die Firma behauptet, dass im vergangenen Jahr 600 Behörden ihren Service genutzt haben…” Beitrag von Julia Klaus vom 20.01.2020 beim ZDF
, siehe weitere Artikel dazu:
- Gesichtserkennung: Clearview AI verweigert Zusammenarbeit mit deutscher Datenschutzaufsicht
“… Clearview AI weigert sich offenbar, mit dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) zu kooperieren. Bei der Aufsichtsbehörde war im Februar eine Beschwerde gegen das US-Start-up eingegangen. In deren Folge hatte sie Kontakt zu Clearview aufgenommen. Jetzt wirft der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar dem Unternehmen vor, seine Fragen nur ausweichend beantwortet zu haben. Er droht, ein Zwangsgeld von bis zu 170.000 Euro zu verhängen. Caspar erklärte in einer Mitteilung zudem, die Aufsichtsbehörden müssten „düstere digitale Dystopien“ verhindern, die durch den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware entstehen könnten. (…) Allerdings streitet noch nicht einmal Clearview selbst ab, dass in seiner Datenbank biometrische Daten von Menschen aus Europa abgespeichert sind. Um diese Daten verarbeiten zu dürfen, müsste Clearview nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten jedoch Einwilligungen von sämtlichen Betroffenen eingeholt haben. Ein Vorhaben, das bei drei Milliarden Fotos so realisierbar wäre wie die Aufzucht von Flugsauriern. Deshalb geht die Behörde nach eigenen Angaben weiterhin von der Anwendbarkeit der DSGVO aus. (…) Johannes Caspar will, dass Clearview bis Mitte September nun endlich umfassend Auskunft erteilt – andernfalls droht das Zwangsgeld. Auch außerhalb von Deutschland bringen sich Datenschutzbehörden gegen das Unternehmen in Stellung. Erst kürzlich starten Großbritannien und Australien eine gemeinsame Untersuchung.” Artikel von Daniel Laufer vom 20. August 2020 bei Netzpolitik.org - Clearview: Wenn Milliardäre Gesichtserkennung als Spionage-Spielzeug nutzen
“… Clearview ahnte, dass dieser Tag kommen würde. “Wir geben zu, dass mächtige Werkzeuge immer das Potenzial haben, missbraucht zu werden”, schrieb das Unternehmen Ende Januar auf seiner Webseite. Es stelle seine Gesichtserkennung nur Strafverfolgungsbehörden und ausgewählten Sicherheitsexperten zu Verfügung. “Wir nehmen diese Bedrohung sehr ernst.” Ganz so ernst kann es Clearview damit nicht gewesen sein. Fünf Wochen, nachdem das Unternehmen öffentlich beschwichtigte, deckt die New York Times (NYT) auf: Die zentrale Aussage des Blogeintrags war eine Lüge. Neben Tausenden Behörden und Organisationen konnten auch etliche Privatleute Clearviews Datenbank durchsuchen, in der mehr als drei Milliarden Fotos von Gesichtern gespeichert sein sollen – Milliardäre, Investoren und Geschäftspartner. (…) Entgegen der öffentlichen Beteuerungen hätten die Clearview-Gründer neben Behörden auch privaten Kunden und Freunden Zugriff auf die mächtige Suchfunktion gegeben, berichtet die NYT. Diese sollen die App auf Partys, Dates und Geschäftstreffen eingesetzt haben. (…) Ohnehin verschweigt Clearview so einiges. (…) Unter anderem wurde bekannt, dass Clearview seine Dienste mitnichten nur in den USA und Kanada anbietet, sondern global expandieren wollte. Zu den mehr als 2200 Kunden zählen auch Behörden und Organisationen in autokratischen Regimen wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. (…) “Sicherheit ist Clearviews oberste Priorität”, behauptete das Unternehmen – nachdem es sich seine Kundenliste stehlen ließ. Datenpannen seien nun einmal “Teil des Lebens im 21. Jahrhundert”, beschwichtigte ein Anwalt. Wenn Clearview selbst davon ausgeht, früher oder später gehackt zu werden, erinnern die angeblich drei Milliarden gespeicherten Fotos an eine tickende Zeitbombe. Dieser Datenbank will es alle Fahndungsfotos hinzufügen, die in den vergangenen 15 Jahren in den USA aufgenommen wurden. (…) In Deutschland scheint Clearview noch nicht eingesetzt zu werden. Zumindest sind bislang keine Kooperationen mit Behörden bekannt…” Artikel von Simon Hurtz vom 7. März 2020 bei der Süddeutschen Zeitung online - Auch ohne Clearview: Polizei findet schon jetzt Hunderte Täter per Gesichtserkennung [mutmaßliche Täter, also nicht verurteilte!]
“Gesichtserkennung gehört auch in Deutschland längst zum Polizeialltag – und sie funktioniert auch ohne die umstrittene Clearview-Software, wie Zahlen des LKA Bayern belegen. Bundesinnenminister Horst Seehofer verzichtet vorerst darauf, die automatisierte Gesichtserkennung in Deutschland mithilfe des künftigen Bundespolizeigesetzes auszuweiten. Doch das heißt nicht, dass die Technik an sich hierzulande tabu ist – im Gegenteil. (…) Allein in Bayern, wo sich das dortige Landeskriminalamt (LKA) als Vorreiter in Sachen Gesichtserkennung sieht, hat sich die Zahl der mutmaßlichen Straftäter, die mithilfe des Programms identifiziert wurden, mehr als verdoppelt – von 146 im Jahr 2018 auf 387 im vergangenen Jahr. (…) 600.000 Euro hat das LKA seit 2018 in den Ausbau seiner Gesichtserkennung gesteckt. (…) Seit zwölf Jahren nutzt das LKA inzwischen schon die Möglichkeit, Bildmaterial, auf dem unbekannte mutmaßliche Täter zu sehen sind, mit Fotos aus einer Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) abzugleichen. In der sind Bilder von Inhaftierten enthalten, aber auch Fotos von Menschen, die zur Fahndung ausgeschrieben oder die einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen wurden. (…) Mehr als 20.000 Recherchen werden nach BKA-Angaben pro Jahr durchgeführt, Testabfragen eingerechnet. Wie hoch die Erfolgsquote 2019 war, teilte das BKA auf Anfrage nicht mit. Nach Angaben der Bundesregierung recherchierte allein die Bundespolizei im ersten Halbjahr 2019 rund 1200 Mal im Gesichtserkennungssystem des BKA und identifizierte 219 Menschen…” Beitrag vom 10. Februar 2020 von und bei Spiegel online– Da bereits Fahndungen gespeichert werden, ist davon auszugehen, dass z.B. alle mutmaßlichen “G20-Verdächtigte” betroffen sind. Ebenso werden offensichtlich auch die Daten von einmal erkennungsdienstliche (auch rechtwidrig) behandelter Versammlungsteilnehmer nicht gelöscht. Das polizeistaatliche Element kommt vor allem dadurch hinein, dass es nur um Verdächtige geht, deren Speicherung und Suche ohne richterliche Zustimmung erfolgen kann.
- Gesichtserkennungs-App „Clearview“: Jedes Gesicht eine offene Datenbank?
“… Ob bei einer Demonstration oder abends in der Bar: Wenn es nach dem Entwickler Hoan Ton-That geht, könnte künftig jeder Mensch dank Gesichtserkennung identifizierbar werden. Wie die „New York Times“ berichtet, sollen mit der App „Clearview“ nicht nur Namen von Passanten, sondern auch sensible Daten wie der Wohnsitz und private Hintergründe nur wenige Klicks entfernt sein. (…) Eine solche Art der Gesichtserkennung galt bisher als Tabu unter Tech-Unternehmen. “Die Möglichkeiten, dies als Waffe einzusetzen, sind endlos”, zitiert die „New York Times“ Eric Goldman, Co-Direktor des High Tech Law Institute an der Santa Clara University. “Stellen Sie sich einen schurkischen Strafverfolgungsbeamten vor, der potenzielle romantische Partner verfolgen möchte, oder eine ausländische Regierung, die dies nutzt, um Geheimnisse über Menschen zu erpressen oder ins Gefängnis zu werfen.” (…) Ob die App letztlich für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, ist unklar. Doch Nachahmer könnten sich dem Konzept bedienen – und die Privatsphäre nachhaltig verändern.” Beitrag von Gloria Geyer vom 18. Januar 2020 beim Tagesspiegel online - Gesichtserkennung: Die Firma, die uns alle identifizieren will
“… Es klingt dystopisch: Ein kleines New Yorker Unternehmen namens Clearview hat eine App entwickelt, mit der man jede Person im Netz identifizieren können soll – und das nur anhand eines Fotos. Es reicht aus, das Bild einer Person hochzuladen und schon spuckt die App ähnliche Fotos aus, inklusive Link auf die Quelle. Möglich ist das dank einer Datenbank, in die rund drei Milliarden Bilder aus allen möglichen Quellen eingeflossen sind: Instagram-Selfies, Porträtfotos von der Website des Arbeitgebers, YouTube-Videos, Fotos von Nachrichtenseiten. Eine der größten Sammlungen ihrer Art – und vor allem interessant für Strafverfolgungsbehörden. Allein im vergangenen Jahr sollen 600 von ihnen begonnen haben, Clearview zu nutzen. So berichtet es die New York Times mit Verweis auf Unternehmensangaben, wobei nicht ganz klar ist, ob es sich dabei um 600 Behörden weltweit oder allein in den USA handelt. (…) Wäre ein System wie das von Clearview in Deutschland überhaupt möglich? Alexander Roßnagel hat daran seine Zweifel. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Kassel und Sprecher des Forums Privatheit. “Keiner der Betroffenen hat Clearview eine Einwilligungserklärung gegeben”, sagt er. Die Sammlung der Daten sei daher nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) unzulässig, genauso wie das Geschäftsmodell von Clearview. Allerdings heiße das nicht, dass dies immer so bleiben werde. Die öffentliche Meinung dazu könne sich ändern: Je mehr Erfolge es mit Systemen zur Gesichtserkennung in anderen Ländern gebe, desto stärker steige womöglich auch hierzulande der Druck – sowohl im öffentlichen Raum wie an U‑Bahn-Stationen als auch in privaten Räumen wie Stadien, so Roßnagel. Auch Technik, deren Einsatz hierzulande gar nicht legal wäre, kann den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Und sie wirft Fragen an die Gesellschaft auf: Wollen wir wirklich riskieren, uns in der Öffentlichkeit nicht mehr anonym bewegen zu können? Wollen wir, dass jede Person als potenzielle Straftäterin oder Straftäter behandelt wird? Wollen wir Unternehmen gestatten, Daten zu speichern, für deren Verwendung sie nie eine Erlaubnis eingeholt haben? Der US-amerikanische Fall zeigt, wie wichtig diese Fragen sind. Und wie wichtig es ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Technikrechtler Alexander Roßnagel selbst wünscht sich klare Regeln. “Automatisierte Gesichtserkennung sollte in Europa verboten werden”, sagt er. Sollte es wirklich Ausnahmen geben, müsse die Verwendung klar begrenzt sein…” Beitrag von Lisa Hegemann vom 20. Januar 2020 bei der Zeit online
Der Beitrag Clearview: Diese Firma kennt Milliarden Gesichter erschien zuerst auf LabourNet Germany.