Im Bündnis mit Russland
Bemühungen, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, entfalteten die Staaten der EU, darunter insbesondere die Bundesrepublik, bereits vor gut zwei Jahrzehnten. Lukaschenko hatte nach seinem Wahlsieg im Jahr 1994 begonnen, Minsk wieder enger an Moskau zu binden, und Belarus 1999 in eine vertraglich festgelegte Union mit Russland geführt. Belarus gehört darüber hinaus der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) an, einem von Moskau geführten Militärbündnis [1]; außerdem ist es Mitglied der gleichfalls um Russland zentrierten Eurasischen Wirtschaftsunion [2]. Die wirtschaftlichen Bindungen sind überaus eng; so ist Russland mit gewaltigem Abstand Belarus’ größter Lieferant – es stellt 58,4 Prozent der belarussischen Importe, Nummer zwei ist mit 7,8 Prozent China – und zugleich mit 38,2 Prozent größter Abnehmer belarussischer Exporte vor der Ukraine (12,0 Prozent). 31 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen kommen aus Russland; weitere 17,6 Prozent wurden via Zypern getätigt, einen bei russischen Geschäftsleuten populären Finanzstandort. Nicht zuletzt kooperieren Belarus und Russland militärisch recht eng. Schlagzeilen im Westen machte etwa im September 2017 das Großmanöver „Zapad“, bei dem Soldaten beider Länder die gemeinsame Abwehr westlicher Aggressionen probten.[3]
Geschwundene Mehrheit
Anders als etwa in der Ukraine sind die jahrelangen westlichen Umsturzbemühungen – mit Hilfe intensiver Unterstützung der stark zersplitterten prowestlichen Opposition [4] – allerdings erfolglos geblieben. Ursache war, dass Lukaschenko sich lange Zeit auf sichere Mehrheiten stützen konnte, da es ihm gelang, einen Ausverkauf der belarussischen Wirtschaft an Oligarchen und einen sozialen Absturz der Bevölkerung, wie er sich beispielsweise in der Ukraine vollzog, zu verhindern. In der Tat liegt Belarus’ Wirtschaftsleistung pro Kopf bis heute erheblich oberhalb derjenigen der Ukraine. Entsprechend trafen die im Westen regelmäßig lautstark erhobenen Vorwürfe, Lukaschenkos Wahlsiege beruhten auf Fälschung, nicht zu; selbst im Berliner Auswärtigen Amt räumten Experten intern ein, die Ergebnisse belarussischer Präsidentenwahlen seien zwar wohl ein wenig geschönt, spiegelten allerdings den Mehrheitswillen im Kern korrekt wider. Dies hat sich erst in jüngerer Vergangenheit geändert. Hintergrund ist, dass die belarussische Wirtschaft seit 2012 meist nur noch geringfügig wuchs oder sogar schrumpfte, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nährte. Seit diesem Frühjahr kam hinzu, dass Lukaschenkos Ignoranz gegenüber der Covid-19-Pandemie den wachsenden Unmut verstärkte. Umfragen sahen den Präsidenten zuletzt nur noch bei 25 bis 30 Prozent – ein Novum in der Geschichte des Landes seit Mitte der 1990er Jahre.
Kurswechsel Richtung Westen
Im Rahmen ihrer Umsturzbemühungen hatte die EU erstmals im Jahr 2004, dann erneut 2010 auch Sanktionen verhängt – Einreiseverbote für mehr als 170 Personen und Unternehmen aus Belarus, deren Vermögen in der Union zudem eingefroren wurde; 2011 kam noch ein Waffenembargo hinzu.[5] Im Februar 2016 wurden die Maßnahmen allerdings weitgehend aufgehoben. Die Ursache: In Minsk zeichneten sich vorsichtige außenpolitische Kurskorrekturen ab. Zum einen fürchtete die Regierung, durch die Polarisierung infolge des Ukraine-Konflikts könne Belarus allzu eng an Russland gebunden werden. Zum anderen nahm der Streit um Vergünstigungen bei der Lieferung russischen Erdöls zu, die für Belarus ökonomisch überaus wichtig sind; im vergangenen Jahr hob Moskau diese Vergünstigungen de facto auf. Präsident Lukaschenko reagierte, indem er die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation nicht anerkannte sowie stattdessen Minsk als Mittler zwischen Russland und dem Westen positionierte; die zentralen Verhandlungen über eine Beilegung des Ukraine-Konflikts fanden 2014 und 2015 in der belarussischen Hauptstadt statt. Hinzu kam zuletzt eine offene Annäherung an den Westen. Am 1. Februar traf mit Mike Pompeo erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ein US-Außenminister zu Gesprächen in Minsk ein.[6] Im März führten belarussische Truppen ein gemeinsames Manöver mit britischen Soldaten durch; im Rahmen der Übung habe es den ersten umfassenden Austausch belarussischer und westlicher Truppen gegeben, hieß es anschließend bei den britischen Streitkräften.[7]
Im „Konrad Adenauer Raum“
Unabhängig vom vorsichtigen Ausbau der Kooperation mit Präsident Lukaschenko haben die westlichen Staaten die Förderung der prowestlichen Opposition systematisch fortgesetzt. Innerhalb der EU tut sich dabei unter anderem Polen hervor; der staatliche Fernsehsender TVP betreibt seit 2007 mit Belsat TV einen Kanal in belarussischer Sprache, der die Opposition im Nachbarland unterstützt. Warschau nutzt die polnischsprachige Minderheit in der Region um Grodno für seine Politik. Eine tragende Rolle bei den aktuellen Massenprotesten kommt dem Telegram-Kanal Nexta zu, dessen Betreiber – ein belarussischer Regierungsgegner- im polnischen Exil lebt. Ein Zentrum der belarussischen Exilopposition ist zudem die litauische Hauptstadt Vilnius, in der seit 2005 die zuvor in Minsk beheimatete, bei der urbanen belarussischen Opposition populäre Europäische Humanistische Universität (EHU) angesiedelt ist. Die EHU wird von Stiftungen vor allem aus den USA und aus Deutschland gefördert; im Dezember 2018 hat die Universität, deren Absolventen nicht selten bei Straßenprotesten in Belarus anzutreffen sind, einen ihrer Seminarräume in „Konrad Adenauer Raum“ umbenannt – als Dank für die langjährige intensive Unterstützung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).[8] Die aus Berliner Staatsmitteln finanzierte Adenauer-Stiftung wiederum unterhält ein „Auslandsbüro Belarus“, das keine Lizenz für eine Tätigkeit im Land erhalten hat und daher in Vilnius operiert. Von dort aus hält sie engen Kontakt zu – laut Eigenangaben – einem breiten Spektrum an „Partnern in Belarus“.[9]
Millionen für die „Zivilgesellschaft“
In den aktuellen belarussischen Massenprotesten ist allerdings, trotz aller Bemühungen etwa von „Partnern“ der Adenauer-Stiftung, eine prowestliche Orientierung laut übereinstimmenden Einschätzungen von Beobachtern – noch – nicht mehrheitsfähig: Die breit verankerte Bindung an Russland unterscheidet das Land von der Ukraine, wo ein größerer Teil der Bevölkerung, stark antirussisch orientiert, leicht nicht nur gegen die ukrainische Regierung, sondern auch gegen Moskau zu mobilisieren war. Entsprechend warnen deutsche Außenpolitiker vor allzu schroffem Vorgehen gegen Minsk. Zwar sei der EU-Beschluss vom 19. August, „das Ergebnis der Wahlen nicht anzuerkennen, … konsequent und richtig“, urteilt etwa der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid.[10] Auch „die vorgesehenen personenbezogenen Sanktionen“ setzten „die richtigen Signale“. Allerdings seien sie strikt auf Verantwortliche für die mutmaßliche Wahlfälschung sowie für die Repression gegen Demonstranten zu beschränken. „Der richtige Ansatz“ sei es, Mittel für die belarussische „Zivilgesellschaft“ bereitzustellen, erklärt Schmid. Dies ermöglicht es, gezielt prowestliche Spektren in der belarussischen Opposition zu stärken. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben am 19. August beschlossen, eine Million Euro für die „Zivilgesellschaft“, zwei Millionen Euro für Opfer staatlicher Repressionen und darüber hinaus 50 Millionen Euro „Corona-Soforthilfe“ nach Belarus zu transferieren – Mittel der Einmischung im geostrategischen Einflusskampf um Minsk.
Bündniswechsel gefordert
Dabei haben die Parteigänger Berlins und des Westens in den belarussischen Proteststrukturen bereits Erfolge erzielt. So gehören dem siebenköpfigen „Koordinationsrat für die Machtübergabe“, den die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja gegründet hat, drei Personen an, die erst kürzlich in einem Manifest einen Bündniswechsel des Landes hin zu EU und NATO gefordert haben.[11] Zwar weist der „Koordinationsrat“ eine solche Positionierung für die gegenwärtigen Proteste öffentlich noch zurück. Geschickte Einmischung Berlins und Brüssels könnte die Kräfteverhältnisse freilich verschieben.
[1] Mitglieder der OVKS sind Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.
[2] Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion sind Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan und Kirgisistan.
[3] Silvia Stöber: Showdown in „Weischnoria“. tagesschau.de 14.09.2017. S. auch „Belarus’ Platz in Europa“.
[4] S. dazu 14 Millionen für den Umsturz, Zehntausend plus, Die Stunde der EU und Zwei Partner entzweien.
[5] Belarus: EU verlängert Waffenembargo und Sanktionen gegen 4 Personen um ein Jahr. consilium.europa.eu 17.02.2020.
[6] Pompeo offers Belarus oil in rare visit. bbc.co.uk 01.02.2020.
[7] Royal Marines complete training in Belarus. royalnavy.mod.uk 23.03.2020.
[8] Konrad Adenauer Room inaugurated at EHU Campus. en.ehu.lt 20.12.2018.
[9] Auslandsbüro Belarus: Über uns. kas.de.
[10] Nils Schmid: Schicksalstage in Belarus. ipg-journal.de 21.08.2020.
[11] Reinhard Lauterbach: Vorbeugende Drohungen. junge Welt 24.08.2020.