Die Grundlage nationaler Macht
Hohe Bedeutung kommt in den Plänen Berlins für eine transatlantisch abgestimmte Chinapolitik dem Kampf um die weltweite Technologieführerschaft zu. „Technologische Innovation nährt wirtschaftliches Wachstum und ist seit langer Zeit die Grundlage nationaler Macht und globalen Einflusses“, heißt es in einem Strategiepapier, das eine „Transatlantic Task Force“ unter dem Ko-Vorsitz des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, publiziert hat. Die „Task Force“ ist im vergangenen Dezember vom German Marshall Fund of the United States (GMF) und der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung gegründet worden (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Wie sie festhält, ist China längst zu einer führenden Technologiemacht geworden; es ist beispielsweise der größte Produzent, Exporteur und Nutzer von Wind- und Solarenergieanlagen sowie Batterien, steht für 60 Prozent des globalen Verkaufs von Elektro-Kfz und liegt bei 5G vorn – sowohl technologisch als auch beim Aufbau der entsprechenden Netze.[2] Sein riesiger Binnenmarkt von 1,4 Milliarden Menschen, von denen mittlerweile 400 Millionen, nach manchen Schätzungen sogar mehr den kaufkräftigen Mittelschichten zugerechnet werden, bietet Vorteile nicht nur beim Absatz von High-Tech-Produkten, sondern vor allem auch für die schnelle Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI), für die gewaltige Datenmassen nötig sind. Auf lange Sicht, heißt es in dem Strategiepapier der Transatlantic Task Force, könnten weder die Vereinigten Staaten noch die EU alleine im Kampf um die Technologieführerschaft gegen die Volksrepublik bestehen.
„Transatlantische Souveränität“
Entsprechend schlägt die Transatlantic Task Force eine enge transatlantische Kooperation bei der Weiterentwicklung der modernsten Technologien vor. Zwar seien EU und USA seit jeher nicht nur „Partner“, sondern auch „technologische Rivalen“, heißt es in dem Strategiepapier: So hätten sich die westeuropäischen Länder bereits während der 1960er und 1970er Jahre Sorgen über die US-Dominanz in der neu entstehenden Computertechnologie gemacht und beklagten heute häufig den Aufstieg der beherrschenden US-Internetmonopole. Andererseits komme man nicht daran vorbei, dass China bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben rasant aufhole und diesbezüglich in diesem Jahrzehnt aller Voraussicht nach nicht nur an der EU, sondern auch an den Vereinigten Staaten vorbeiziehen werde. Während die EU heute gewöhnlich „europäische Souveränität“ anstrebe, sei das einzige Gegenmittel gegen die Technologieführerschaft der Volksrepublik eine „transatlantische technologische Souveränität“, die auf intensiver Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU beruhe – nicht nur in der Forschung, sondern auch bei der Entwicklung etwa von KI und 5G.[3] Der Gedanke findet durchaus Anklang. So urteilt etwa Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, es sei „nicht nachvollziehbar“, dass es „keine geeignete westliche Alternative zu Huawei“ gebe.[4] Zu dem Arsenal, das die Transatlantic Task Force vorschlägt, zählen freilich neben einer engeren Kooperation auch restriktive Maßnahmen, so etwa Exportbeschränkungen gegenüber China.
„Mit einer Stimme“
Jenseits einer Kooperation bei der Weiterentwicklung moderner Technologien plädieren Berliner Politiker für ein gemeinsames Vorgehen beim Versuch, die Volksrepublik zur weiteren Öffnung für westliche Interessen zu nötigen. Beijing ist längst dabei, etwa die Rahmenbedingungen für Auslandsinvestoren zu lockern, tut das allerdings in einem Tempo, das seiner eigenen Entwicklung entspricht. Außenminister Heiko Maas erklärte Ende November in einem Namensbeitrag für die Tageszeitung Die Welt, „Amerikaner und Europäer“ teilten das Interesse „an fairem Handel, freien Seewegen und an der Sicherheit unserer Daten und unseres intellektuellen Eigentums“.[5] Suche man die westlichen Vorstellungen gemeinsam gegen China durchzusetzen, dann könne der US-Druck durch den ökonomischen Einfluss der europäischen Mächte in der Volksrepublik verstärkt werden; „und wenn wir in der Welthandelsorganisation mit einer Stimme sprechen, anstatt uns gegenseitig mit Zöllen zu überziehen, dann können wir auch dort neue Standards setzen“, urteilte Maas. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte kürzlich, man teile die „Sorge“ über bestimmte chinesische Wirtschaftspraktiken mit anderen westlichen Ländern, „auch mit den Vereinigten Staaten“: So kritisiere man etwa „Währungsmanipulationen“, eine „aggressive Aneignung geistigen Eigentums“, „ungleiche[…] Investitionsbedingungen“ sowie eine „staatlich subventionierte Verzerrung des Wettbewerbs“.[6] Gemeinsam, heißt es nun, könne man westliche Forderungen gegenüber China leichter durchsetzen.
„Nicht blinde Gefolgschaft“
Bestimmte Aggressionen Washingtons gegen Beijing weist Berlin freilich als nicht den eigenen Interessen entsprechend zurück. Dies gilt vor allem für die Pläne zur ökonomischen „Entkopplung“ („Decoupling“) Chinas vom Westen, die die Bundesregierung vermeiden will, um das deutsche Chinageschäft zu bewahren.[7] Unabhängig vom Resultat der US-Präsidentenwahl werde sich die – zumindest – „partielle Entkopplung von Hochtechnologiebereichen“ voraussichtlich „fortsetzen“, warnt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Der Anti-China-Konsens“ habe sich in den Vereinigten Staaten „auf beiden Seiten des politischen Spektrums … weiter verfestigt“ – „sowohl in den außenpolitischen Eliten“ wie auch „in Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung“.[8] Dabei hätten die USA, „was den strategischen Ansatz gegenüber China betrifft, die klare Erwartung, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich der amerikanischen Sichtweise anschließen“; Washington werde „auch unter der nächsten US-Administration entsprechend Druck ausüben“. Berlin sucht sich dagegen zu wappnen. „Partnerschaft bedeutet … nicht blinde Gefolgschaft“, warnt´Maas.[9] „Wir unterstützen … nicht jede Haltung und jeden Vorstoß der Regierung in Washington“ in Sachen China, kündigt Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer an.[10] Ex-Außenminister Gabriel plädiert für „Zusammenarbeit zur Schaffung eines wirtschaftlichen Gegengewichts zu China“, allerdings „ohne sich der Sprache eines ‚kalten Krieges’ zu bedienen“.[11]
Transatlantik-AG mit US-Vizepräsident
Ein gemeinsames Vorgehen steht nun auch mit Blick auf die chinesische Einflussarbeit auf dem afrikanischen Kontinent sowie auf die Neue Seidenstraße zur Debatte. Berlin ist bereits seit vielen Jahren bemüht, die eigene Position in Afrika zu stärken, scheitert jedoch regelmäßig.[12] Zuweilen sind Vorschläge laut geworden, dort gemeinsam mit Beijing aufzutreten, um besser Fuß zu fassen.[13] Jetzt plädiert Gabriel für die „Konzeption einer transatlantischen Infrastrukturinitiative mit Afrika“ – und zugleich für eine solche Initiative mit „dem eurasischen Raum als demokratische, faire und transparente Alternative zu Chinas ’neuer Seidenstraße’ “.[14] Hintergrund ist, dass die EU auch in den Schwerpunktregionen der Neuen Seidenstraße versucht, sich gegen China in Stellung zu bringen, dabei aber noch keinen Durchbruch erzielt hat.[15] Ähnliche Vorschläge äußert die Transatlantic Task Force. Sie tritt zudem dafür ein, eine „transatlantische Arbeitsgruppe“ zu etablieren, der der US-Vizepräsident, vergleichbare Repräsentanten der EU und ausgewählter EU-Staaten sowie die jeweiligen Außen‑, Verteidigungs‑, Wirtschafts- sowie Finanzminister angehören sollen und die unter Nutzung geheimdienstlicher Informationen gemeinsame Planungen für die „wirtschaftlichen, politischen und strategischen Herausforderungen“ durch China vornehmen soll – als Grundlage für abgestimmte, koordinierte Maßnahmen gegen Beijing.[16]
Mehr zum transatlantischen Verhältnis vor den US-Wahlen: Transatlantische Landschaftspflege und Ein schwieriger Bündnispartner (I).
[1] S. dazu Ein schwieriger Bündnispartner (I).
[2] Together or Alone? Choices and Strategies for Transatlantic Relations for 2021 and Beyond. Washington, October 2020. S. auch Der Wettlauf um 5G.
[3] Together or Alone? Choices and Strategies for Transatlantic Relations for 2021 and Beyond. Washington, October 2020.
[4] Emerson: Ex-US-Botschafter in Deutschland, Vorsitzender des American Council on Germany.
Sigmar Gabriel, John B. Emerson: Wir brauchen einander. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.10.2020.
[5] Heiko Maas: Es ist Zeit für einen transatlantischen Neuanfang. welt.de 25.10.2020.
[6] AKK: Rede zur Verleihung des Medienpreises. bmvg.de 23.10.2020.
[7] S. dazu Geschäft statt Entkopplung.
[8] Jenseits der Wahlen. SWP-Aktuell Nr. 82. Berlin, Oktober 2020.
[9] Heiko Maas: Es ist Zeit für einen transatlantischen Neuanfang. welt.de 25.10.2020.
[10] AKK: Rede zur Verleihung des Medienpreises. bmvg.de 23.10.2020.
[11] Sigmar Gabriel, John B. Emerson: Wir brauchen einander. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.10.2020.
[12] S. dazu Unbestimmt verschoben.
[13] Für mehr Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit – Zentrum für nachhaltige Entwicklung in Peking eröffnet. bmz.de 11.05.2017.
[14] Sigmar Gabriel, John B. Emerson: Wir brauchen einander. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.10.2020.
[15] S. dazu Die Anti-Seidenstraße.
[16] Together or Alone? Choices and Strategies for Transatlantic Relations for 2021 and Beyond. Washington, October 2020.