Zur Fahndung ausgeschrieben
Jan Marsalek, der im Mittelpunkt der Geheimdienstaffäre um Wirecard steht, ist für das 1999 gegründete Unternehmen aus Aschheim bei München bereits seit dem Jahr 2000 tätig gewesen; er gehörte dem Vorstand an und galt als enger Mitarbeiter des Vorstandsvorsitzenden Markus Braun. Zu seinen Zuständigkeiten zählte insbesondere das Asiengeschäft, über das mutmaßlich nicht existierende Milliardensummen fiktiv verschoben wurden – einer der Hauptvorwürfe im aktuellen Skandal um Wirecard.[1] Während mehrere Manager des Unternehmens in Untersuchungshaft genommen wurden, hat sich Marsalek am 19. Juni mit einem Flug vom Flugplatz Vöslau-Kottingbrunn im Süden von Wien nach Minsk der Festnahme entzogen und ist untergetaucht; sein heutiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Er wird seit dem 22. Juni per Haftbefehl gesucht und ist Anfang August vom Bundeskriminalamt (BKA) zur Fahndung ausgeschrieben worden.
„Als BVT-Vertrauensperson geführt“
Der Verdacht, Marsalek könne Beziehungen zu einem oder mehreren Geheimdiensten unterhalten, steht schon lange im Raum. Ausgelöst wurde er dadurch, dass sich der Wirecard-Manager im Sommer 2018 gegenüber Geschäftspartnern in London gebrüstet hatte, über derlei Beziehungen zu verfügen, und – quasi zum Beleg – Geheimdokumente der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vorgezeigt hatte.[2] Zwar sind solche Prahlereien in Spionagekreisen unüblich, weil man sich damit, wie der Geheimdienstexperte Thomas Riegler bekräftigt, gleichsam „selbst ‚verbrennt’ und für einen Geheimdienst wertlos macht“.[3] Allerdings ergaben Recherchen, dass Marsalek die Dokumente vermutlich in Österreich erhalten hatte; das wies auf österreichische Geheimdienstkreise hin. Gestützt wurde die Vermutung dadurch, dass Marsalek Berichten zufolge Informationen des Wiener Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an den damaligen FPÖ-Politiker und Intimus von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus, durchgestochen hatte.[4] Ende September wurde bekannt, dass sich Marsalek am Abend vor seiner Flucht nach Minsk mit einem ehemaligen BVT-Abteilungsleiter getroffen hatte.[5] Jetzt heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (Die Linke), dem Generalbundesanwalt lägen „Anhaltspunkte dafür vor“, der frühere Wirecard-Manager sei „von einem Mitarbeiter des österreichischen […] BVT […] als Vertrauensperson geführt“ worden.
Für Geheimdienste interessant
Sollte Marsalek tatsächlich vom BVT als V‑Mann geführt worden sein, stellen sich bezüglich der Geschäftstätigkeit von Wirecard zahlreiche Fragen. So ist unklar, wieso das österreichische Innenministerium im Jahr 2004 die Abwicklung der Bezahlung für den Onlineabruf zunächst von sensiblen Straf‑, dann auch von Melderegisterauszügen ausgerechnet an die deutsche Finanzfirma vergab, die damals noch recht unbekannt war und ihr Geld überwiegend mit der Durchführung von Zahlungen auf Porno- und Glücksspielwebsites verdiente.[6] Weil Letztere für Geldwäsche genutzt werden können, sind sie für Geheimdienste prinzipiell interessant. Bis zuletzt kamen bis zu zehn Prozent der Wirecard-Transaktionen aus der Porno- und Glücksspielbranche; allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2019 sollen es bis zu 12,4 Milliarden Euro gewesen sein.[7] Laut Recherchen der Anlegerschutzorganisation European Funds Recovery Initiative aus Wien soll Wirecard zudem zumindest von 2012 bis 2019 Konten für mutmaßlich betrügerische Finanzportale bereitgestellt haben.[8] Erst kürzlich wurde darüber hinaus bekannt, dass Banken sogar eine hohe Zahl an Geldwäscheverdachtsfällen bei Wirecard an die zuständige Bundesstelle meldeten (FIU, Financial Intelligence Unit); die Rede war von mehr als 2.000. Ernsthafte Konsequenzen für Wirecard hatte das nicht.[9]
Berater beim BVT
Nach wie vor unklar ist auch, wieso am 13. August 2019 ausgerechnet Klaus-Dieter Fritsche beim deutschen Bundeskanzleramt um einen Gesprächstermin für Wirecard-Vertreter bat. Fritsche war von 1996 bis 2005 als Vizepräsident beim deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) tätig gewesen, wechselte Ende 2005 – zu Beginn der Regierungszeit von Angela Merkel – als Geheimdienstkoordinator ins Berliner Bundeskanzleramt, amtierte ab 2009 als Staatssekretär im Bundesinnenministerium und kehrte Anfang 2014 ins Kanzleramt zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung im März 2018 als Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes fungierte; er gilt als eine der in Geheimdienstangelegenheiten erfahrensten Personen in der Bundesrepublik. Im Zusammenhang mit der vermuteten Tätigkeit von Marsalek als V‑Mann für das österreichische BVT ist von Interesse, dass Fritsche im Februar 2019 eine ursprünglich auf neun Monate geplante Tätigkeit in Wien begann: Ihm wurde vom damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) eine „Beratung“ bei der „Reform“ des BVT angetragen. Die Bundesregierung stimmte dem per Schreiben vom 21. Februar 2019 ausdrücklich zu. Das Berliner Kanzleramt bestätigt, dass Fritsche am 25. Mai dieses Jahres erneut eine Tätigkeit bei der „Reform“ des Wiener BVT angezeigt hat, erneut definiert als „Beratung“; man sei „in der Sache … mit Herrn Fritsche in Kontakt“.[10] Allerdings stecke Fritsches Tätigkeit, Stand: 9. September, „pandemiebedingt“ fest.
Fintech und Sturmgewehre
Pläne für eine weitere Tätigkeit Fritsches als „Berater“ haben kürzlich in anderem Zusammenhang für Aufmerksamkeit gesorgt. Dabei ging es um Heckler & Koch, den Schusswaffenhersteller aus dem baden-württembergischen Oberndorf, der bereits seit 1959 das Standardsturmgewehr der Bundeswehr produziert – zuerst das G3, dann das G36. Heckler & Koch ist im Juli zu 60 Prozent von der Luxemburger Finanzholding Compagnie de Développement de l’Eau (CDE) übernommen worden, hinter der der französische Investor Nicolas Walewski steht, einer der ersten Wirecard-Finanziers, der erst kürzlich die Wirecard-Aktien abgestoßen haben soll. Walewskis nicht wirklich transparentes Auftreten – sein Privatvermögen etwa hat er in dem Karibikstaat Barbados angelegt, der im Mai 2019 und unter heftigem Protest etwa von Oxfam von der offiziellen EU-Liste der Steueroasen gestrichen wurde – hat dazu geführt, dass die Übernahme von Heckler & Koch durch die CDE erst nach gut zweijähriger Überprüfung der Finanzholding auch durch den BND von der Bundesregierung genehmigt wurde.[11] Inwieweit Fritsche davon – als bis März 2018 amtierender Beauftragter für die Nachrichtendienste – Kenntnis hatte, ist nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass Walewski Fritsche in den Aufsichtsrat von Heckler & Koch holen wollte. Dies jedoch hat das Bundeskanzleramt untersagt. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.[12]
[1] S. dazu Der Fall Wirecard.
[2] Paul Murphy, Dan McCrum, Helen Warrell: Wirecard executive Jan Marsalek touted Russian nerve gas documents. ft.com 09.07.2020.
[3] Frederik Obermaier: „Jan Marsalek wäre für jeden Geheimdienst eine Goldgrube“. sueddeutsche.de 30.10.2020.
[4] Anna Thalhammer: Flüchtiger Wirecard-Manager war geheimer FPÖ-Informant. diepresse.com 09.07.2020. S. dazu Der Fall Wirecard (II).
[5] Cathrin Kahlweit, Frederik Obermaier, Jörg Schmitt, Jan Willmroth: Liebesgrüße aus Bad Vöslau. sueddeutsche.de 30.09.2020.
[6] Fabian Schmid: Strafregisterauszug per Wirecard-Überweisung. derstandard.at 24.09.2020.
[7], [8] Felix Holtermann, Christian Schnell: Zahlungsabwicklung für Hochrisikokunden: Die Vergangenheit holt Wirecard ein. handelsblatt.com 03.03.2020.
[9] Arne Meyer-Fünffinger: Noch mehr Geldwäsche-Verdachtsmeldungen. tagesschau.de 13.10.2020.
[10] Schreiben des Staatsministers im Bundeskanzleramt Hendrik Hoppenstedt an die Bundestagsabgeordnete Katja Hessel. Berlin, 09.09.2020.
[11] S. dazu Das deutsch-emiratische Sturmgewehr.
[12] Verbot für Fritsche. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.10.2020.