Wir unterstützen den Aufruf #ZeroCovid und bitten alle Genossinnen und Genossen, alle Kolleginnen und Kollegen, ihn zu unterzeichnen. Er verlangt eine sofortige Kehrtwende in der Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen, weg von der bloßen Abflachung der Kurve der Infektionen hin zur Beendigung der Pandemie.
In dem Aufruf heißt es: „Wir brauchen
sofort eine gemeinsame Strategie in Europa, um die Pandemie wirksam zu
bekämpfen. Mit Impfungen allein ist der Wettlauf gegen die mutierte
Virusvariante nicht zu gewinnen – erst recht nicht, wenn die Pandemiebekämpfung
weiter aus aktionistischen Einschränkungen der Freizeit ohne Shutdown der
Wirtschaft besteht.“ Ähnliche Initiativen sind vor einigen Wochen in anderen
Ländern, insbesondere im Vereinigten Königreich und in Irland entstanden, siehe
beispielsweise https://zerocovid.uk/ oder
den Artikel https://www.anticapitalistresistance.org/post/covid-is-a-class-issue.
Der Aufruf kritisiert, dass die offizielle
Corona-Politik allein auf den Impfstoff setzt und bei den Einschränkungen (oder
Verboten) der Kontakte ausschließlich den Freizeitsektor und nicht auch die die
nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft im Visier hat.
Dieser Kritik können wir uns nur anschließen: Die meisten der bisher bekanntgewordenen Brennpunkte waren in Betrieben aller Art, vor allem natürlich in Alten- und Pflegeheimen.
Vor allem aber klagt die Bundesregierung
zwar darüber, dass sie die Kontrolle über das Geschehen verloren hat, aber sie
gibt sich nicht die Mittel an die Hand, diese wiederzugewinnen. Diese Mittel
bestehen zum einen in einer systematischen Erhebung von Informationen über die
Entwicklung der Pandemie in allen Bereichen der Gesellschaft durch Einführung
einer verpflichtenden Berichterstattung aller Betriebe, die regelmäßig
abgefragt wird, wenn sie nicht freiwillig kommt – nur eine solche Sammlung von
Informationen erlaubt, restriktive Maßnahmen zielgenau einzusetzen.
Zum anderen in der pro-aktiven Verfolgung
und Isolierung von Hotspots, aber auch von positiv Getesteten. Letzteren wird
zwar eine 14-tägige Quarantäne nahegelegt, aber sie verbringen sie zu Hause,
dort, wo sie im engsten Kontakt mit anderen Menschen, ihren Familienangehörigen
sind. Da muss sich die Regierung nicht wundern, wenn Virolog*innen schätzen,
dass die meisten Infektionen im privaten Bereich stattfinden. Dagegen
unternimmt sie aber nichts anderes, als durch die Kontaktbeschränkungen, die
sie verhängt, die Menschen weiter in den privaten Bereich zu treiben.
Drittens ist es ein Skandal, dass ein armes
Land wie Rwanda in der Lage ist, flächendeckend und kostenlos zu testen, aber
Deutschland nicht.
In solche konkreten Argumentationen begibt
sich der Aufruf nicht. Er fordert sehr energisch, „die Ansteckungen auf Null zu
reduzieren“, bleibt aber in der Benennung der angemessenen Mittel vage. Damit
setzt er sich dem Vorwurf aus, im Zweifel auch autoritäre Maßnahmen gut zu
heißen. Das ist nicht seine Intention, die ist vielmehr die Entwicklung eine
„solidarischen Perspektive von unten“, aber das wird leider nicht unterfüttert.
Das größte Manko des Aufrufs aus sozialistischer Sicht ist, dass er die abhängig Beschäftigten in Betrieben und Büros nicht ausdrücklich als handelndes Subjekt in den Mittelpunkt rückt und von dort aus den notwendigen Maßnahmenkatalog entwickelt. Das hätte Vorbehalten vorgebeugt und die Aufgabe erleichtert, den Kampf um Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben aufzunehmen. Denn der wird auch in Zukunft zentral sein.
Gerade in diesem Bereich verstoßen
Regierung & Kapital zynisch gegen die Gebote des präventiven
Gesundheitsschutzes. Nur dieser würde einen Weg jenseits der fortgesetzten
Einschränkungen von Grundrechten durch die Herrschenden eröffnen.
1989 wurde die „EG-Rahmenrichtlinie
Arbeitsschutz“ (89/391/EWG) für alle Staaten der damaligen Europäischen
Gemeinschaft verabschiedet. In der BRD ist diese verbindliche Vorgabe erst 1996
mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) umgesetzt worden.
Skandalöserweise wird das
Arbeitsschutzgesetz nur an den wenigsten Arbeitsplätzen umgesetzt. Die Bundes-
und Landesregierungen verschaffen sich deshalb nicht einmal einen Überblick
über das Seuchengeschehen in den Betrieben. In den seltenen Fällen, in denen es
jedoch aufgrund aktiver Betriebsräte ernst genommen wird, kann auch ein
wirksamer Infektionsschutz gegen das Coronavirus sichergestellt werden. Denn
dort wird mehr getan, als die AHA-L-Regeln einzuhalten. Es wird das sogenannte
TOP-Prinzip des Gesundheitsschutzes verwirklicht. Dies bedeutet, dass in dieser
Rangfolge technische (z. B. Trennwände), organisatorische (z. B. versetzte
Arbeitszeiten) und persönliche Schutzmaßnahmen (z. B. FFP2-Masken) ergriffen
werden müssen.
Last but not least – und gerade im Hinblick
auf den notwendigen längeren Atem – hätte dem Aufruf ein Satz zu den
ökologischen und ökonomischen Ursachen der Pandemie gut angestanden.
Dessen ungeachtet besteht sein großes
Verdienst darin, ganz offensichtlich einen Nerv getroffen zu haben, das belegt
der große und rasche Zustrom von Unterzeichneten. Daraus lässt sich zweifellos
eine politische Kampagne entwickeln, in deren Verlauf, die hier aufgeworfenen
Fragen diskutiert und angegangen werden können.
Die Lähmung, die die politische und soziale
Linke im Angesicht von Corona befallen hat, kann damit ein Stückweit überwunden
werden, wenn entsprechend koordinierte Aktivitäten vor Ort entwickelt werden.
Dafür setzen wir uns ein.
21.1.2021